Das Kätzchen, das ein Reh sein wollte
Es war einmal eine kleine Katze. Seit sie sich erinnern konnte, war ihr größter Wunsch, irgendwo dazuzugehören. Sagen zu können: Hier gehör ich hin. Das bin ich.
Sie suchte. Dort und da. Weit oben und tief unten. Doch niemals stimmte es. Es war zu hoch (sie war nicht ganz schwindelfrei), doch unter der Erde war es zu eng (sie war auch etwas klaustrophobisch). "Dort" war zu weit weg und "da" zu nah.
Kätzchen seufzte oft: "Hach. Hachhachhach." Sie konnte sich auch nicht so gut artikulieren. Das lag daran, dass sie eben nicht mehr kannte, als ihre Sehnsucht. Nicht einmal sich selbst.
Hachhachhach – so lief sie aufgeregt durch die Welt.
Eines Tages kam sie zu einem großen Markt. Sie schaute hierhin und dorthin. In Körbe und Krüge. Unter Äpfel und Brote. Unter Stände und Hocker.
Doch nichts fühlte sich an, als gehörte es zu ihr. Und sie zu ihm. Sie wusste zwar nicht was der Unterschied zwischen beidem sein sollte, glaubte aber, es gäbe einen.
Hach – so saß sie neben einem besonders hübschen Stand auf einem dicken weichen Kissen auf einem zierlichen Stühlchen. Der Besitzer hatte ihr dieses Lager bereitet, denn sie wirkte so klein und verloren, so unabhängig und schön, dass er sie, wie andere vor ihm, behalten wollte.
Von ihrem Thrönchen hörte sie ein Gespräch. Vom großen Wald war da die Rede. Und von einer Herde herrlicher Tiere. Groß, stolz. Die Könige des Waldes. Kätzchen spitzte die Ohren. Der große Wald. Sie kannte ihn. Von außen. Er war wirklich groß und dunkel (sie fürchtete sich vor der Dunkelheit).
Sie hatte auch von diesen Tieren gehört.
Hach. Hachhachhach.
Die Leute redeten davon, dass sie auf den Markt kämen. Kätzchens Schwanz zuckte nach rechts. Sie wollten sehen, ob es hier nicht andere ihrer Art gäbe. Kätzchens Schwanz zuckte nach links.
Sie sprang. Von ihrem Kissen, ihrem Stühlchen. Die ganze weite Strecke zum Boden, hinein in die Menschenmenge. Das waren gleich zwei Dinge, die sie sonst lieber mied (denn sie fürchtete Menschen und hatte Angst, sich bei unbedachten Sprüngen zu verletzten).
Sie lief über den Markt. Ihr Herz klopfte und ihr Schwänzchen zuckte.
Sie waren tatsächlich da. Sie gingen durch die Menge. Ab und zu hielten sie an und beäugten die Marktbesucher. Schließlich standen sie vor Kätzchen: "Bist du ein Reh?" Kätzchens Herz stand still. Ihre Pfoten waren kalt und ihre Nase glühte. Und sie tat das, was sie immer tat, wenn sie sich fast zu Tode graulte – sie wurde mutig.
"Natürlich." "Gut. Dann komm mit uns." Und Kätzchen folgte ihnen. Hinein in den großen dunklen Wald. Sie blickte sich nicht einmal um.
Der Besitzer des Marktstandes sah ihr hinterher und war traurig. Er hatte gefürchtet, dass sie eines Tages weiterziehen würde. Denn im Gegensatz zu Kätzchen wusste er, dass sie erst sagen könnte "Hier gehör ich hin" wenn sie sagen könnte "Das bin ich". Nicht umgekehrt. Doch Dinge ahnen oder wissen, ändert nichts daran, dass sie wehtun. Deshalb hob er eine Hand, um ihr "Viel Glück" hinterher zu winken, mit der anderen wischte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel (Kurze Zeit später fand er ein kleines Kaninchen. Es war warm und weich und mit seiner kleinen Nase schnuppelte es dort, wo woher die Träne war.)
Kätzchen war im Wald angekommen. Dort waren noch mehr der großen Waldbewohner.
"Ich bin Rehlein" sagte Kätzchen zu jedem, der ihm begegnete (es hatte Angst, unhöflich zu sein).
Alle waren freundlich. Mehr oder weniger. Wie es eben so geht. Sie schienen sich zu freuen. Mehr oder weniger. Wie es eben so ist.
Kätzchen war beeindruckt. Kätzchen war gerührt.
Und es beschloss: Hier gehör ich hin. Das bin ich. Ein Reh.
Es war überaus bemüht, ein wirklich gutes Reh zu sein. Auch wenn es darin gar keine Erfahrung hatte.
Damit, etwas anderes als ein Kätzchen zu sein, hatte es allerdings Erfahrung. Dachte es.
Kätzchen hatte schon lange befunden, dass akro-, klaustro-,sozio- und noch vielfach anders phobisch zu sein, nicht besonders toll wäre.
Es war Experte darin geworden, etwas anderes zu werden.
Ein Häschen. Ein Schneckchen. Für den Marktstandbesitzer war es ein Vögelchen. Dachte es.
Denn alle, die ihm je begegneten waren, hatten das Kätzchen gewollt – nicht das Möchmöch, den kleinen Terrier oder das Sternchen. Nicht das Häschen, das Schneckchen und nicht das Vögelchen.
Doch das war das, was Kätzchen selber niemandem zumuten wollte. Am wenigsten wohl sich selbst.
Nun war es also ein Reh. Es spielte auf der Lichtung, hüpfte durchs Tau, stakste durchs Unterholz.Kätzchen war sehr stolz auf sich. Es war angekommen. Es war ein gutes Reh.
Die anderen schienen das auch so zu sehen, denn sie sagten: "Bleib bei uns."
Natürlich kann die Geschichte hier nicht enden. Denn ein Kätzchen kann nicht aufhören ein Kätzchen zu sein.
Und so kam der Tag, wo die Lichtung im Regen lag und der Wald besonders dunkel war.
Kätzchen war aufgelöst und allein. Das Problem, wenn man etwas anderes sein will, ist nämlich: man gehört niemals dazu. Denn auch wenn du alle überzeugt hast, ein Reh zu sein (& das ist sehr unwahrscheinlich), du selber weißt, dass du ein Kätzchen bist.
Und als Kätzchen im Unterholz saß und weinte, weil es doch so gerne ein Reh wäre, so gerne wie die anderen wäre und sich so sehr wünschte "Hier gehör ich hin. Das bin ich." sagen zu können, knackte es neben ihm und er trat neben sie.
Er hob die Brauen. "Hach. Hachhachhach." , schluchzte Kätzchen. Er hob sie höher. "Hahahach", Kätzchen senkte den Kopf.
"Ach, Kätzchen." Da zuckte es zusammen und blickte erschüttert auf. "Hach?" (es war in solchen Situationen nicht sehr gut darin, sich verständlich auszudrücken).
"Kätzchen, ich freue mich, dass du bei uns bist."
"Ich bin kein Reh."
"Ich weiß."
"Willst du denn kein Reh?"
"Du bist das allerbeste Reh, wenn du ein Kätzchen bist."
"Hach!" Kätzchen strahlte. Es verstand. Nicht alles. Das würde noch dauern. Aber viel.
Er schritt voran durchs Unterholz, auf die Lichtung zu, die nun wieder in Sonnenlicht getaucht war. Heller als Kätzchen es je gesehen hatte. Der ganze Wald erschien ihm nicht mehr so dunkel. Es gab überall goldene Pfützen von Licht.
Es schlenderte hinter ihm her und während es sein Geweih betrachtete, dachte es: "Das bin ich. Hier gehör ich hin."
Sie suchte. Dort und da. Weit oben und tief unten. Doch niemals stimmte es. Es war zu hoch (sie war nicht ganz schwindelfrei), doch unter der Erde war es zu eng (sie war auch etwas klaustrophobisch). "Dort" war zu weit weg und "da" zu nah.
Kätzchen seufzte oft: "Hach. Hachhachhach." Sie konnte sich auch nicht so gut artikulieren. Das lag daran, dass sie eben nicht mehr kannte, als ihre Sehnsucht. Nicht einmal sich selbst.
Hachhachhach – so lief sie aufgeregt durch die Welt.
Eines Tages kam sie zu einem großen Markt. Sie schaute hierhin und dorthin. In Körbe und Krüge. Unter Äpfel und Brote. Unter Stände und Hocker.
Doch nichts fühlte sich an, als gehörte es zu ihr. Und sie zu ihm. Sie wusste zwar nicht was der Unterschied zwischen beidem sein sollte, glaubte aber, es gäbe einen.
Hach – so saß sie neben einem besonders hübschen Stand auf einem dicken weichen Kissen auf einem zierlichen Stühlchen. Der Besitzer hatte ihr dieses Lager bereitet, denn sie wirkte so klein und verloren, so unabhängig und schön, dass er sie, wie andere vor ihm, behalten wollte.
Von ihrem Thrönchen hörte sie ein Gespräch. Vom großen Wald war da die Rede. Und von einer Herde herrlicher Tiere. Groß, stolz. Die Könige des Waldes. Kätzchen spitzte die Ohren. Der große Wald. Sie kannte ihn. Von außen. Er war wirklich groß und dunkel (sie fürchtete sich vor der Dunkelheit).
Sie hatte auch von diesen Tieren gehört.
Hach. Hachhachhach.
Die Leute redeten davon, dass sie auf den Markt kämen. Kätzchens Schwanz zuckte nach rechts. Sie wollten sehen, ob es hier nicht andere ihrer Art gäbe. Kätzchens Schwanz zuckte nach links.
Sie sprang. Von ihrem Kissen, ihrem Stühlchen. Die ganze weite Strecke zum Boden, hinein in die Menschenmenge. Das waren gleich zwei Dinge, die sie sonst lieber mied (denn sie fürchtete Menschen und hatte Angst, sich bei unbedachten Sprüngen zu verletzten).
Sie lief über den Markt. Ihr Herz klopfte und ihr Schwänzchen zuckte.
Sie waren tatsächlich da. Sie gingen durch die Menge. Ab und zu hielten sie an und beäugten die Marktbesucher. Schließlich standen sie vor Kätzchen: "Bist du ein Reh?" Kätzchens Herz stand still. Ihre Pfoten waren kalt und ihre Nase glühte. Und sie tat das, was sie immer tat, wenn sie sich fast zu Tode graulte – sie wurde mutig.
"Natürlich." "Gut. Dann komm mit uns." Und Kätzchen folgte ihnen. Hinein in den großen dunklen Wald. Sie blickte sich nicht einmal um.
Der Besitzer des Marktstandes sah ihr hinterher und war traurig. Er hatte gefürchtet, dass sie eines Tages weiterziehen würde. Denn im Gegensatz zu Kätzchen wusste er, dass sie erst sagen könnte "Hier gehör ich hin" wenn sie sagen könnte "Das bin ich". Nicht umgekehrt. Doch Dinge ahnen oder wissen, ändert nichts daran, dass sie wehtun. Deshalb hob er eine Hand, um ihr "Viel Glück" hinterher zu winken, mit der anderen wischte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel (Kurze Zeit später fand er ein kleines Kaninchen. Es war warm und weich und mit seiner kleinen Nase schnuppelte es dort, wo woher die Träne war.)
Kätzchen war im Wald angekommen. Dort waren noch mehr der großen Waldbewohner.
"Ich bin Rehlein" sagte Kätzchen zu jedem, der ihm begegnete (es hatte Angst, unhöflich zu sein).
Alle waren freundlich. Mehr oder weniger. Wie es eben so geht. Sie schienen sich zu freuen. Mehr oder weniger. Wie es eben so ist.
Kätzchen war beeindruckt. Kätzchen war gerührt.
Und es beschloss: Hier gehör ich hin. Das bin ich. Ein Reh.
Es war überaus bemüht, ein wirklich gutes Reh zu sein. Auch wenn es darin gar keine Erfahrung hatte.
Damit, etwas anderes als ein Kätzchen zu sein, hatte es allerdings Erfahrung. Dachte es.
Kätzchen hatte schon lange befunden, dass akro-, klaustro-,sozio- und noch vielfach anders phobisch zu sein, nicht besonders toll wäre.
Es war Experte darin geworden, etwas anderes zu werden.
Ein Häschen. Ein Schneckchen. Für den Marktstandbesitzer war es ein Vögelchen. Dachte es.
Denn alle, die ihm je begegneten waren, hatten das Kätzchen gewollt – nicht das Möchmöch, den kleinen Terrier oder das Sternchen. Nicht das Häschen, das Schneckchen und nicht das Vögelchen.
Doch das war das, was Kätzchen selber niemandem zumuten wollte. Am wenigsten wohl sich selbst.
Nun war es also ein Reh. Es spielte auf der Lichtung, hüpfte durchs Tau, stakste durchs Unterholz.Kätzchen war sehr stolz auf sich. Es war angekommen. Es war ein gutes Reh.
Die anderen schienen das auch so zu sehen, denn sie sagten: "Bleib bei uns."
Natürlich kann die Geschichte hier nicht enden. Denn ein Kätzchen kann nicht aufhören ein Kätzchen zu sein.
Und so kam der Tag, wo die Lichtung im Regen lag und der Wald besonders dunkel war.
Kätzchen war aufgelöst und allein. Das Problem, wenn man etwas anderes sein will, ist nämlich: man gehört niemals dazu. Denn auch wenn du alle überzeugt hast, ein Reh zu sein (& das ist sehr unwahrscheinlich), du selber weißt, dass du ein Kätzchen bist.
Und als Kätzchen im Unterholz saß und weinte, weil es doch so gerne ein Reh wäre, so gerne wie die anderen wäre und sich so sehr wünschte "Hier gehör ich hin. Das bin ich." sagen zu können, knackte es neben ihm und er trat neben sie.
Er hob die Brauen. "Hach. Hachhachhach." , schluchzte Kätzchen. Er hob sie höher. "Hahahach", Kätzchen senkte den Kopf.
"Ach, Kätzchen." Da zuckte es zusammen und blickte erschüttert auf. "Hach?" (es war in solchen Situationen nicht sehr gut darin, sich verständlich auszudrücken).
"Kätzchen, ich freue mich, dass du bei uns bist."
"Ich bin kein Reh."
"Ich weiß."
"Willst du denn kein Reh?"
"Du bist das allerbeste Reh, wenn du ein Kätzchen bist."
"Hach!" Kätzchen strahlte. Es verstand. Nicht alles. Das würde noch dauern. Aber viel.
Er schritt voran durchs Unterholz, auf die Lichtung zu, die nun wieder in Sonnenlicht getaucht war. Heller als Kätzchen es je gesehen hatte. Der ganze Wald erschien ihm nicht mehr so dunkel. Es gab überall goldene Pfützen von Licht.
Es schlenderte hinter ihm her und während es sein Geweih betrachtete, dachte es: "Das bin ich. Hier gehör ich hin."
koneko do - 8. Sep, 19:46